Boll Engineering: Distribution wie ein Schweizer Uhrwerk
Kein Investor drängt Thomas Boll zur Expansion. Es ist eher dem Erfolg vor allem mit zwei Herstellern zuzuschreiben, warum der Inhaber nun den Security- und Netzwerk-VAD nach Deutschland und Österreich führt.
Allein den Zusatz „Engineering" im Firmennamen zu führen, deutet an, dass die Schweizer Boll in der IT-Distribution eine Sonderrolle einnimmt. Das liegt zu einen daran, dass Gründer und Inhaber Thomas Boll an der ETH Zürich ein Ingenieursdiplom in Elektrotechnik hat. Zum anderen: Ende der 80er Jahre verdient der Jungunternehmer mit Softwareentwicklung und Datenbanken sein Geld - unter anderem mit Decoder-Verschlüsselung für Pay-TV. Rund zehn Jahre später, das Internet und damit Security gewinnen an Bedeutung, „entdeckt" Thomas Boll, wie er im Gespräch mit CRN sagt, die damals noch junge Firma Watchguard und ihre Firewalls. Die Nachfrage von Schweizer Unternehmen nach Securityhard- und Software aus einer Hand lässt die Umsätze des damaligen Systemhauses Boll und seines Produktlieferanten aus den USA schnell steigen. Weniger Jahre später erlebt Boll das, was auch heute noch Partner von US-Herstellern fürchten: Watchguard steigt auf 2-Tier um und schaltet Distributoren dazwischen. „Wir mussten uns entscheiden, ob wir Systemintegrator bleiben oder ein Distributor sein wollten". Der Chef entscheidet sich für Distribution, „ohne zu wissen, was das ist", blickt Boll auf die Anfänge zurück. Der Geist des Ingenieurs hat - wohl auch unwissentlich - das im Channel so renommierte „Value Added" hervorgebracht, das Boll Engineering bis heute auszeichnet. Viele noch im transaktionalen Reselling verhaftete Distributoren wären gerne VAD.
Nummer 1 in der Schweizer Security-Distribution
Boll hat sich in der Schweiz mit seinen rund 65 Mitarbeitern den Ruf erarbeitet, für hohe technologische Kompetenz bei Security- und Netzwerklösungen zu stehen. Davon profitieren rund 1.000 Partner, die beim VAD Demos ordern, Lizenzen einkaufen, sich technische Expertise im Projektgeschäft holen oder ihre Mitarbeiter im Training Center oder über Webinare schulen lassen. Mittlerweile führt Boll 25 Hersteller im Portfolio. Bei so bekannten Namen wie Watchguard, Fortinet und Kaspersky ist man die Nummer eins im Schweizer Markt, weitere Vendoren wie Eset, Palo Alto, Proofpoint oder Secunet komplettieren das Portfolio. Nun steht die Expansion nach Deutschland und Österreich an. Im Interview mit CRN fällt das Wort „Wachstumszwang", obwohl Unternehmer Thomas Boll keinen treibenden Investor oder Banken im Rücken hat und auch sonst nicht wie ein Getriebener wirkt. Anders als so mancher expansionshungrige Wettbewerber.
30 Prozent Wachstum jährlich
Boll sieht natürlich, dass die Konkurrenz mächtig an Größe zulegt, und er kann und will sich der Wachstumslogik des Marktes auch gar nicht entziehen. Klein und fein bleiben geht eher nicht. Umsätze nennt Thomas Boll keine, nur so viel verrät er CRN: „Wir wachsen jährlich rund 30 Prozent." Die Erlöse mit Watchguard und Fortinet dürften signifikant sein. Expansion mit neuen Herstellern in DACH würde das Risiko der Abhängigkeit mit den beiden Schwergewichten bei Boll reduzieren.
Klar ist für Thomas Boll auch, „dass man als kleineres Unternehmen nur sehr schwer überleben kann". Man sei zum Größerwerden „verpflichtet", sagt er. Schon allein deswegen, um bei Herstellern, Systemhäusern, aber auch für Mitarbeiter attraktiv zu bleiben. „Wir müssen unser Angebot erweitern, weil Kunden Sortimentsbreite wollen". Und noch etwas zeichnet den 64-jährigen Thomas Boll aus, was typisch ist für die oft untrüglichen Trend-Spürnasen vieler Unternehmer aus der IT-Pionierzeit: „Ich sehe überall Opportunities im Markt, die ich nicht liegen lassen will".
Boll Europe expandiert
So expandiert VAD Boll über die Grenzen der Schweiz hinaus nach Österreich und Deutschland. 2019 stieß Joachim „Jo" Walter zu Boll, der als Geschäftsführer Boll Europe den personellen Ausbau in beiden Ländern vorantreibt. Fünf Mitarbeiter hat er bislang gewinnen können, könne aber, wie er betont, auf die technischen und vertrieblichen Ressourcen der Schweizer Kollegen zurückgreifen. „Wie helfen uns gegenseitig". Rund 60 Partner in Deutschland zählt Boll Europe bereits.
Expansion in Riesenschritten kann man die Ambitionen der Geschäftsführung nicht unbedingt nennen. Thomas Boll will sich in dieser Hinsicht aber auch gar nicht mit Milliarden-Wettbewerbern wie beispielsweise einer sehr expansiven Infinigate oder einer fast schon Broadline-Größe erreichten Arrow messen lassen oder sich gar an ihnen orientieren. „Das wäre vermessen", sagt er. Walter ergänzt, um was es Boll wirklich geht. „Wir wollen in DACH ein verlässlicher VAD sein, mit einer hohen technologischen Kompetenz, wie man sie von uns in der Schweiz kennt und schätzt." Er verweist auf den hohen Automatisierungsgrad, den der VAD erreicht habe und der beispielsweise dafür sorge, dass Partner auch bei komplexeren Anfragen binnen eines Tages ein Angebot auf dem Tisch hätten. „Das ist in der Branche gar nicht selbstverständlich", betont Walter. Thomas Boll lächelt und wirft ein: „Alles schreit nach VAD, sehr viele sind weit davon entfernt". Qualität zähle vor Größe, dafür sei Boll Engineering bekannt und das wolle man auch außerhalb des Heimatlandes dem Channel beweisen.
Boll werde daher sicher nicht jedes Jahr fünf oder mehr neue Produkte einführen und auch nicht neue Hersteller wie am Fließband zeichnet. „Wir werden nicht um jeden Preis wachsen", beteuert Boll. Den Stress mit Investoren, „die in fünf Jahren das Doppelte aus ihrer Beteiligung herausholen wollen", werde sich Thomas Boll nicht antun. Er schätzt es, als Inhaber geführter VAD finanziell unabhängig zu sein, die „gewonnene Freiheit", wie er sagt, zu behalten.
Nischen und neue Felder besetzen
Thomas Boll hat in 35 Jahren mit viel Ingenieursgeist und langjährigen Mitarbeitern einen VAD aufgebaut, der in seinen operativen Prozessen bisweilen an die berühmte Präzision Schweizer Uhrwerke erinnert. So will Boll auch in Deutschland und Österreich agieren. Freilich nicht mit allen schon gezeichneten Herstellern. Denn DACH-Verträge wird es mit Watchguard oder Fortinet aller Wahrscheinlichkeit nach nicht geben. Die Hersteller wollen ihre bisherigen Distis nicht vor den Kopf stoßen und den harten Wettbewerb unter Distributoren nicht zusätzlich befeuern, indem sie Boll gestatten, auch außerhalb der Schweiz ihre Lösungen anzubieten. Aber Thomas Boll sieht ohnehin viele Chancen in neuen Märkten und in so einigen Nischen, die im Security- und Netzwerkmarkt noch zu besetzen sind.
Die Wikinger kommen!
IT und OT zu verbinden - in der Fertigung oder in der Healthcare-Branche beispielsweise. „Spannende Neuprodukte" sieht er auch im Security-Umfeld. Lösungen für die Analyse des Darknet zum Beispiel. Oder Technologien wie sie US-Security-Hersteller Varonis anbietet. Daten klassifizieren und gegen den Zugriff von Unbefugten oder Cyberkriminellen schützen. Der Distributionsvertrag gilt für DACH.
Dass Thomas Boll nicht nur der rationale, kühl analysierende Ingenieur ist, können Reseller jedes Jahr auf dem legendären Channel Happening erleben. Wie Thomas Boll am 15. September auftreten wird? Mit Schlips und Kragen jedenfalls nicht. Das Motto dieses Jahr: The Viking Way.