"Swatting": Treibjagd auf Streamer und Politiker

Bombendrohungen oder Schockanrufe haben bereits einige Großeinsätze ausgelöst. Dahinter steckt die Bedrohungsgruppe "NWO", die vor allem Live-Streamer, aber auch Politiker bedroht. Wie kommen sie an vertrauliche Kontaktdaten ihrer Opfer heran? Ausgerechnet die Polizei leistet unfreiwillig Schützenhilfe.

"Swatting": Treibjagd auf Streamer und Politiker

Großeinsatz mit Polizei und Feuerwehr in einem Dorf im Taunus vor dem Haus der rheinland-pfälzische Landtagsabgeordnete Lisa-Marie Jeckel (Freie Wähler). Die Politikerin ist Opfer eines Einsatzes geworden, der durch einen Notfallanruf ausgelöst wurde.

Kein Einzelfall. Eine Gruppe von Internet-Trollen begeht seit Jahren organisiert Angriffe auf Live-Streamer und Politiker. Die Gruppe, die sich "NWO" nennt, steckt offenbar auch hinter der Serie von Bombendrohungen im vergangenen Herbst auf öffentliche Einrichtungen. Demnach ist die "NWO" auch verantwortlich für falsche Notrufeinsätze bei zahlreichen Politikern, die im September 2023 Opfer missbräuchlich ausgelöster Polizei- und Feuerwehreinsätze geworden sind. Wie die Täter im Einzelnen an die Adressen gelangt sind, ist unbekannt.

Allerdings zeigen Recherchen von Kontraste und Spiegel, dass Mitglieder der "NWO" illegale Abfragen im internen Polizeisystem POLAS nutzten, um an Privatadressen ihrer Opfer zu gelangen. Einem Insider zufolge, der in der am Donnerstag ausgestrahlten Sendung von Kontraste berichtet, rufen sie dafür mit gefälschter Telefonnummer, die einer identischen Telefonnummer einer Polizeidienststelle entsprich, bei der Polizei an und geben sich als Kollegen aus. So kamen sie in einem Fall im baden-württembergischen Villingen-Schwenningen an die Adresse einer Frau, die sie offenbar unter Druck setzen wollten. Die Polizei in Konstanz ermittelt inzwischen gegen den anonymen Anrufer und den getäuschten Polizeibeamten. Diese hätten am Telefon auch anderen Polizeikollegen keine Daten geben dürfen, ohne die Identität des Anrufers zu überprüfen.

Kontraste und dem Spiegel liegen mehrere Tonaufnahmen vor, in denen "NWO"-Mitglieder behaupten, POLAS-Daten abgefragt zu haben. Die "NWO" hat Listen mit Privatadressen von 77 ehemaligen und aktuellen Landtagsabgeordneten aus Niedersachsen und Rheinland-Pfalz erstellt. Die Cyber-Kriminellen planten zudem, Adressen von Bundestagsabgeordneten ausfindig zu machen. Ein riesiger Datensatz, der Kontraste und dem Spiegel vorliegt, ermöglicht erstmals einen Einblick in das Innerste der "NWO": über 75.0000 interne Chatnachrichten, Videos, Dokumente und Tonaufnahmen von Gesprächen aus unterschiedlichen Quellen über einen Zeitraum von rund sechs Jahren.

Die Daten sind größtenteils valide, wie eine Stichprobe ergab Den Journalisten gelang es, einige Politiker, die auf der Liste standen, zu kontaktieren. Zehn von ihnen bestätigten, dass es bei ihnen tatsächlich zu Notfalleinsätzen gekommen sei, wie etwa die CDU-Abgeordneten Anette Moesta oder Michael Ludwig.

Die Attacken der "NWO" bezeichnet man als sogenanntes "Swatting", der Begriff leitet sich von Swat-Teams ab, schwer bewaffnete Polizeieinheiten wie in Deutschland die Spezialeinsatzkommandos (SEK). Diese werden durch falsche Notrufe absichtlich zu Unschuldigen geschickt. In den USA sind durch Swattings bereits mehrere Menschen gestorben.

Treibjagd auf Internet-Streamer

Hauptzielgruppe der "NWO" sind Streamerinnen und Streamer. Nach einer Statistik der Betroffenenorganisation "Institut für Sicherheit und Datenanalyse im Streaming" (ISDS) traf es seit Februar 2022 allein 132 Streamer, die die Plattform Twitch nutzen - teilweise mehrfach. Nach ISDS-Angaben sind im selben Zeitraum 1.048 Streamer im Visier der "NWO" gelandet. Die Täter wollten Menschen regelrecht kaputtmachen, sagt die Cyberpsychologin Catarina Katzer. Ziel sei es, selbst Kontrolle und Macht auszuüben. "Es ist eigentlich wie eine Art Treibjagd", so Katzer.