Digitale Verwaltung: Eher unverbindlich statt Rechtsanspruch
575 Verwaltungsdienste sollten Bundesbürger laut Online-Zugangsgesetz eigentlich bis Ende 2022 digital erledigen können. Nur knapp ein Viertel sind es geworden und die nächste Welle der Verwaltungsdigitalisierung hat die EU schon losgetreten. Was ist los in Deutschlands Behörden?
Eltern haben einen Rechtsanspruch auf einen Kitaplatz, bekommen aber keinen. Der Bürger hat einen Rechtsanspruch darauf, ein Ausweisdokument bei seiner Gemeine online beantragen zu können, muss aber dennoch beim Amt vorsprechen. Bundebürger lernen schon seit längerem, dass ein Rechtsanspruch so etwas ist wie eine unverbindliche Empfehlung: Es wäre schön gewesen, hätten die Verwaltungen alle Länder die im Online-Zugangsgesetz (OZG) beschriebenen 575 Dienstleistungen bis Ende 2022 digitalisiert und Bürgern lästige Behördengänge erspart. Nicht einmal ein Viertel wurden bundesweit umgesetzt.
Das Behörden-Digimeter des Instituts der deutschen Wirtschaft (IW), von der Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft (INSM) beauftragt, zählte Ende September 2023 lediglich 145 online umgesetzte bundesweite Dienste. "Wenn die Politik in der Geschwindigkeit weiter macht, werden die Ziele erst in zehn Jahren erreicht," rechnet IW-Forscher Klaus-Heiner Röhl das Ergebnis hoch. "Mit Faxgerät und Aktendeckel werden wir Deutschland nicht fit machen," ergänzt INSM-Geschäftsführer Thorsten Alsleben.
Ein Bild, das gerne bemüht wird, wenn es um Deutschlands Behörden geht. Es steht im Gegensatz zu den aktuellen Statements großer IT-Dienstleister, die über eine hohe Nachfrage des Public Sektors berichten. Erst am vergangenen Freitag bestätigte Bechtle-Chef Thoma Olemotz, dass die Nachfrage seitens Behörden nach digitalen Transformationsprojekten hoch sei - an erster Stelle getrieben durch große Bundesbehörden.
Bei den Amtsmühlen der Ländler ist es so: sie mahlen je nach Standort in sehr unterschiedlichen Geschwindigkeiten. Bayern führt bei der flächendeckenden OZG-Umsetzung mit 246 online verfügbaren Leistungen, Hamburg (229) und Hessen (222) folgen. Thüringen und Berlin haben ebenfalls über 200 Angebote. Bayern hat seit Jahresanfang 68 neue Angebote, was nur von Hamburg (+70) übertroffen wird. Die Bundesländer weisen also recht unterschiedliche Effizienz im Hinblick auf Digitalisierung auf.
Es fehlt scheinbar eine länderübergreifende Koordinationsstelle wie es sie beispielsweise in Österreich gibt. Dort entwickle eine zentrale Digitalagentur erfolgreich föderale und einheitliche Online-Lösungen, sagt INSM. Die Lobbyisten aus der Wirtschaft würden sich auch für Deutschland eine solche Institution wünschen.
Nächste Welle einer EU-Verwaltungsdigitalisierung
Zumal vor dem Hintergrund, dass bereits zum Jahresende die Einführung der EU-weiten "Single Digital Gateway-Verordnung" (SDG-VO) ansteht, die einen einheitlichen digitalen Zugang zu Verwaltungsdiensten in der gesamten EU vorsieht. "Deutschland steht auch hier bisher schlecht da," so das INSM.
Österreich treibe die SDG-VO-Umsetzung voran, integriere Angebote in das EU-Portal "Your Europe" und erhöhe die Digitalisierung von Registern. Die Nutzung der elektronischen Identität (eID) sei fortschrittlicher als in Deutschland, sie werde in vielen digitalen Verwaltungsprozessen genutzt, z.B. Online-Anmeldung einer GmbH.