Spotlight auf Deutschland: Vier Top Channel-Partner berichten, wie sie sich auf einen wirtschaftlichen "Sturm" vorbereiten
Top-Manager von Computacenter, Infinigate, Proact und anderen Channel-Partnern berichten CRN, wie sie sich auf einen wirtschaftlichen Einbruch in Deutschland einstellen.
Alle Finanzanalysten scheinen sich über eines im Klaren zu sein: Die größte Volkswirtschaft Europas steht düsteren BIP-Wachstumsprognosen gegenüber.
Flaute. Stagnation. Rezession. Das alles sind alles Worte, die man heute mit Merkels Deutschland verbindet.
Nach einem erneuten Rückgang der Aufträge in der deutschen Industrie ging der IWF bereits vor einiger Zeit sogar so weit, die deutschen Behörden aufzufordern, die Wirtschaft wieder ins Gleichgewicht zu bringen und die Abhängigkeit vom Maschinenbau und der verarbeitenden Industrie zu verringern.
Einige befürchten zudem, dass auch andere Teile der Wirtschaft in Mitleidenschaft gezogen werden, darunter etwa der Dienstleistungssektor, der stärker von der Binnennachfrage abhängig ist.
"Mittelfristig zeichnen sich strukturelle Herausforderungen ab. Gleichzeitig bleiben die außenwirtschaftlichen Ungleichgewichte groß, was teilweise die ungleiche Verteilung der Gewinne aus dem Wachstum widerspiegelt", so der IWF.
CRN hat mit mehreren europäischen Partnern mit umfangreichen Geschäftsaktivitäten in Deutschland gesprochen.
Wie schätzen sie die Veränderungen der Strategien deutscher Kunden als Reaktion auf den möglichen Abschwung ein?
Welche Teile des Marktes stemmen sich gegen den Trend und steigen besser aus? Zusammenfassend, was muss ein Anbieter oder Partner über Deutschland wissen, wenn er dort Fuß fassen und expandieren will?
Wirtschaftliche Stagnation
Der IWF prognostiziert für das Jahr (2019) eine Wachstumsrate von 0,7 Prozent, anstatt der zwei Prozent der vorangegangenen Jahre.
Xantaro, ein deutsches Urgestein, Juniper-Partner und VAR mit einem Fokus auf Netzwerke und Rechenzentren war eines der Unternehmen mit denen CRN gesprochen hat.
Vertriebsleiter und Vorstandsmitglied Soenke R. Weerts betonte, dass die Fokussierung auf Gewinne die einzige Möglichkeit sei, den wirtschaftlichen Sturm zu überstehen.
Xantaro ist der Ansicht, dass jetzt nicht die Zeit ist, um sich zu diversifizieren oder zu versuchen, weitere Marktanteile zu erobern. Die Strategie des Unternehmens bestehe daher darin, mit weniger Anbietern zusammenzuarbeiten und sich auf eine Nische zu konzentrieren, um Gewinne zu erzielen.
"Wir konzentrieren uns nicht darauf, unseren Umsatz zu steigern, sondern darauf, in der sich verändernden Kundenlandschaft relevanter zu werden", sagte er.
"Wie können wir also unsere Rentabilität verbessern? Indem wir das Spektrum unserer Services und die Unterstützung unserer Kunden im Bereich der Wartungs- und Beratungsdienstleistungen ausbauen. Wir setzen dabei einen starken Fokus auf die berufliche Weiterbildung unserer Ingenieure, um sicherzustellen, dass diese die notwendigen Kenntnisse für die Implementierung bei unseren Kunden besitzen."
Welche Segmente entwickeln sich gut?
Der Geschäftsführer des Sicherheits-VAD Infinigate, Klaus Schlichtherle, erwähnte gegenüber CRN, dass der Bereich Cyber-Security trotz einer wachsenden Überzeugung, dass Deutschland auf eine Rezession zusteuert, nach wie vor ein starkes Wachstum verzeichnet.
"Ich sehe überhaupt keinen Abschwung des Marktes in Deutschland", bestätigte er.
"Der Grund dafür aus meiner Sicht ist, dass Cyber-Security üblicherweise etwas separat von makroökonomischen Fragen betrachtet wird. Was auch immer in der Wirtschaft passiert, die Unternehmen müssen sich und ihre Daten sichern und schützen."
"Dieses Problem verlagert sich auch immer mehr in mittelständische Unternehmen. Und gerade der Mittelstand muss sehr stark in den Bereich Cyber-Security investieren. Sie sind diejenigen, die angegriffen werden; sie müssen wirklich verhindern, dass ihre IP in Hände Dritter gelangt."
"Ich sehe vor allem bei der Authentifizierung ein gutes Wachstum über alle Branchen hinweg."
Reiner Louis, Geschäftsführer von Computacenter Deutschland, bestätigt die Ansicht, wonach die Cyber-Security-Branche robust sei.
"Security ist sehr wichtig für uns, weil es ein sehr großes Geschäft ist", sagte er.
"Wir haben einen wirklich großen Beratungsbereich, der auf Security spezialisiert ist, und dieser wächst seit ein paar Jahren stetig.
"Die Nachfrage wird dadurch angetrieben, dass die Kunden stark unter Druck stehen, ihre Infrastrukturen zu aktualisieren, um ihre End-to-End-Security zu erhöhen… Besonders in Deutschland gibt es auch eine Menge Gesetze in diesem Bereich."
Für Computacenter sieht Louis im öffentlichen Sektor als vielversprechend an.
"Das ist einer jener Branchen, die besser dasteht. Und hier sehe ich mehr Investitionen und eine größere Nachfrage aufgrund von steigenden Digitalisierungsmaßnahmen. Unternehmen des öffentlichen Sektors sind gesetzlich verpflichtet, sich digital zu transformieren, es ist daher ein großes und wichtiges Geschäft für uns."
Deutsche Vorsicht 2.0
Der in Schweden ansässige Integrator Proact hat dagegen eine andere Strategie als Antwort auf die deutsche Datenschutzgesetzgebung.
"Was derzeit auf dem deutschen Markt passiert, ist sehr interessant", erklärte Sander Dekker, Direktor des Geschäftsbereichs West, gegenüber CRN.
"Wir sehen, dass einige Kunden aufgrund der Datenschutzproblematik von der Cloud zurück zu vollständig privaten Rechenzentren wechseln. Wir haben uns also die konkreten Segmente und Branchen angesehen, die wir benötigen, um Chancen aus dieser Entwicklung zu erzielen.
"Wir können unsere Services in Kombination mit unseren traditionellen Angeboten für On-Prem-Lösungen nutzen. Und wir verfügen über das Wissen und die Fähigkeiten, bei der Verlagerung von Daten aus öffentlichen und privaten Bereichen zu unterstützen, was einen für uns einen Sweet Spot darstellt, besonders in traditionellen Märkten wie diesem."
Eine Woche vor dem Gespräch ging das deutsche Bundesland Hessen, die Heimat der deutschen Finanzmetropole Frankfurt, sogar so weit, Microsoft Office 365 aus seinen Schulen zu verbannen.
Als Begründung wurde die Sorge darüber angeführt, dass lokale Daten über Microsofts Public Cloud-Server für US-Behörden zugänglich sein könnten.
Louis stimmt zu, dass Partner gut daran tun, On-Prem-Optionen in ihrem Portfolio zu behalten.
"Man muss dazu in der Lage sein, auf die Sicherheitsbedenken einzugehen, die viele in diesem Markt haben. Ich denke, es ist ratsam, als Channel-Partner sowohl On-Prem- als auch Public-Cloud-Solutions anzubieten, da sich einige Unternehmen noch in der Evaluierungsphase befinden. Und sie prüfen im Grunde beide Varianten, um sicherzustellen, dass sie rundum geschützt sind", sagte er.
Allerdings sollte dies keinesfalls dazu veranlassen zu glauben, dass es in Deutschland eine weitere Welle der Vorsicht gegenüber der Cloud gibt.
"Ich habe zwei oder drei Kunden gesehen, die in Frage stellen, ob es die richtige Strategie ist, in die Cloud zu gehen. Und sie haben dabei auch die finanziellen Vorteile in Frage gestellt, weil bereits allgemein bekannt ist, dass die Public Cloud keine günstige Lösung ist. Manche denken daher: ‘Kann ich das nicht auch billiger haben?'
"Aber es gibt noch andere Vorteile, die mit der Umstellung auf die Cloud einhergehen, und von den meisten Kunden auch so wahrgenommen werden. Daher kann ich zusammenfassend keinen großen Trend erkennen, wonach Kunden wieder ihre eigenen Infrastrukturen aufbauen.
"Allerdings sehe ich viele Kunden, die sich fragen, was die richtige Strategie ist, um in eine Multi-Cloud-Infrastruktur zu wechseln…. Das ist eine größere Diskussion, denke ich."
'Versteckte Helden'
Auf die Frage von CRN an Gerold Arlheiger, CTO des lokalen VAR Xantaro, welche wichtige Facette des deutschen Marktes die meisten Außenstehenden nicht kennen, antwortete er mit: "hidden heroes".
Gemeint sind damit die dominanten Anbieter im Land die außerhalb Deutschlands unbekannt sind, aber innerhalb Deutschlands "absolut mächtig" sind.
"Wir haben diese versteckten Helden, und internationale Unternehmen brauchen hier Consulting Partner, um mehr über diese zu erfahren.", sagte Arlheiger.
"Sie bieten hier einen Top-Service an."
"Es gibt hier zum Beispiel eine Firma mit dem Namen Trumpf und sie beschäftigt sich mit dem Schneiden von Blechen durch Laser und Wasserkraft. Das Unternehmen ist ein wahrer Experte auf diesem Gebiet. Außerhalb Deutschlands ist das Unternehmen wahrscheinlich unbekannt, aber hier sind sie ein großer Player in der Fertigung und haben eine führende Position auf dem Markt inne."
Arlheiger ging noch weiter und sagte, dass die Channel Partner von ihrer Marktdominanz lernen können.
"Das ist etwas, wovon wir lernen können, wenn es darum geht, eine Nische zu finden und Know-how zu entwickeln. Hier kann man sehr erfolgreich sein, weil man Vertrauen bei den Kunden aufbaut indem man auf höchster Ebene wirklich professionell ist - und Vertrauen wird hier wirklich geschätzt.
"Eine weitere Lektion, die ich gelernt habe, besteht darin, ein absoluter Wissensfreak zu sein. Ich verlange, dass jeder in unserem Unternehmen, sogar jeder Techniker, sein Geschäft von den grundlegenden Dingen bis hin zum höchsten Level kennt. Man muss ein tiefgreifendes Verständnis haben, sonst wird man auf diesem Markt nicht überleben."
Die drei wichtigsten Trends
Die Partner, mit denen CRN gesprochen hat, haben drei Top-Trends identifiziert, die den deutschen Markt heute beeinflussen.
1) Windows 10
Wie in vielen europäischen Märkten ist die Umstellung auf Windows 10 weiterhin ein Umsatzbringer.
"Die Umstellung auf Windows 10 ist für uns zu einem wichtigen Geschäft geworden, und ich denke, das wird noch eine Weile so bleiben", sagte Louis von Computacenter.
"Die Kunden müssen sich mit neuen Versionen von Spam auseinandersetzen und müssen entscheiden, was in die Cloud migriert wird, usw… All diese Dinge werden sich für uns zu einem großen Geschäft entwickeln. Und damit haben wir auch schon länger gerechnet, aber die Umstellung unserer Kunden auf Windows 10 hat früher stattgefunden als erwartet und ist daher von großer Bedeutung für uns."
2) Automatisierung
Es ist kein Geheimnis, dass die Automobilindustrie stark auf Automatisierung angewiesen ist, aber wie uns Partner berichtet haben, gibt es noch viele weitere Branchen, in denen deutsche Kunden mehr Automatisierung fordern.
"Viele Kunden kommen zu uns und sagen, dass ihre Vorstände der IT-Abteilung mitteilen, dass sie ihr Budget kürzen werden. Jetzt will die IT-Abteilung stärker automatisieren, um sich darauf einzustellen", so Weerts von Xantaro.
"Tatsächlich hat uns eines der größeren Tier-One-Unternehmen der Automobilindustrie kürzlich mitgeteilt, dass das IT-Budget für das gesamte Unternehmen in diesem und im nächsten Jahr um zwei Prozent steigen und in den nächsten fünf Jahren um vier Prozent sinken wird. Wie werden sie überstehen? Sie müssen automatisieren."
Nach Ansicht von Proact geht es bei diesem Thema auch um "Simplicity".
"Die große Frage ist: Wie kann ich meine IT vereinfachen? Wie kann ich mein Leben einfacher machen? Wir konzentrieren uns daher darauf, uns den Ruf zu erarbeiten, die beste Antwort für Kunden zu sein, die nach Simplicity suchen."
3) Deutsche Anbieter brauchen 5G
Die 5G-Frequenzauktion in Deutschland endete letzten Monat (Februar, 2019) - mit Einnahmen von rund 6,5 Milliarden Euro. Aber auch der Ärger vieler Akteure der deutschen Technologiebranche wuchs.
Hannes Ametsreiter, CEO von Vodafone Deutschland, nannte die Auktionsergebnisse etwa "katastrophal".
Die Frage dabei ist, ob die Telekommunikationsunternehmen bei so den immensen Ausgaben im Bieterwettstreit überhaupt genug Geld haben, um die eigentliche Infrastruktur zu bauen?
Nach wie vor gibt Regionen im ländlichen Bereich Deutschlands, die noch nicht einmal über 4G verfügen, geschweige denn über 5G.
"Einige der von mir erwähnten heimlichen Helden sind im ländlichen Raum Deutschlands tätig und fragen sich: ‘Werden die Betreiber für meine Produktion oder mein nächstes Büro mit einer zufriedenstellenden Leistung versorgen?' Aus lokaler Sicht gibt es hier definitiv Frustration. Das ist ein zentrales Thema dessen man sich bewusst sein sollte.", betonte Weerts.
Es gibt Grund zur Hoffnung, aber eine langsame Entscheidungsfindung
Jeder der drei Trends bietet klare Chancen für den Channel, um dem Risiko einer stagnierende Wirtschaftslage in Deutschland, entgegenzutreten.
So etwa die Berichte mehrerer Partner, die die sehr positive Entwicklung im Bereich des öffentlichen Sektors und der Cyber-Security aufzeigen.
Viele Partner warnen jedoch auch davor, dass die deutschen Entscheider sich bei ihren Entscheidungen zurückhaltender zeigen.
Computacenter Germany etwa hat im Gespräch offenbart, dass sich dadurch einige seiner Projekte verzögert haben.
"Die Menschen sind bei der IT-Beschaffung vorsichtiger geworden", sagte Geschäftsführer Reiner Louis.
Dessen ungeachtet und abschließend hat CRN in seinen Gesprächen herausgehört, dass die Aussichten für die größte europäische Volkswirtschaft bei weitem nicht so düster sind, wie sie in einigen Prognosen erwartet werden.