Entlassungen bei Ingram Micro treffen vor allem Cloudblue

Insider sprechen gegenüber CRN von „Kahlschlag“ bei der für digitale Plattformen zuständigen BU Cloudblue und zwar vor allem in EMEA. Der DACH-Chef geht, Kunden aus dem Channel sind verunsichert. Was ist los bei Ingram Micro? Die Hintergründe.

Entlassungen bei Ingram Micro treffen vor allem Cloudblue

CRN hat mit Insidern und Kunden von Ingram Micro über die jüngsten Entlassungen gesprochen. Dabei berichten mehrere voneinander unabhängige Quellen, dass die Kündigungen nicht ausschließlich Personal in den USA betreffen, sondern auch Mitarbeiter in Europa und Asien gehen müssen. Und auch keinesfalls nur Personal mit Management-Funktionen, wie CRN berichtet hatte. Die Zahl von 200 bis 300 gekündigten Angestellten, wie ursprünglich gemeldet, dürfte eher größer sein. Offiziell bestätigt der Konzern nur "Veränderungen in der globalen Belegschaft", zu Zahlen oder betroffene BUs gibt es keinen Kommentar.

Wie CRN mit Sache betraute Personen berichten, trifft der Jobabbau vor allem die Ingram Micro-Gesellschaft Cloudblue. Weltweit sind dort über 300 Mitarbeiter beschäftigt, mehr als die Hälfte davon verstreut über EMEA. Laut einem Insider, der namentlich nicht genannt werden will, seien allein bei Cloudblue in EMEA rund 80 Mitarbeiter gekündigt worden, die Abteilung für Asien sei ganz aufgelöst worden.

Verunsicherte Kunden - Ingram Micro beschwichtigt

Im deutschen Cloudblue-Team wäre niemand betroffen, denn einige personelle Umbesetzungen seien bereits vor der jetzigen Entlassungswelle durchgeführt worden. "In Deutschland erfordern diese Änderungen keinen Sozialplan", bezog sich Ingram Micro auf CRN-Nachfrage ganz allgemein auf die jüngsten "Veränderungen". Allerdings arbeiten viele Cloudblue-Betreuer und -Entwickler außerhalb Deutschlands - vor allem in Spanien, die auch für deutsche Kunden zuständig sind. Wie eine gut informierte Quelle CRN versicherte, werde DACH-Chef Tom Schröder Cloudblue verlassen. CRN kontaktierte Schröder, dieser verwies auf die Pressestelle von Ingram Micro.

Die deutschen Kunden von Cloudblue, mit einigen konnte CRN sprechen, seien auf die "Veränderungen" teils durch Abschied-E-Mails ihrer Cloudblue-Betreuer aufmerksam gemacht worden. Teils wurden sie auch telefonisch kontaktiert. Die dringendste Frage: Wie geht es mit der Betreuung und Entwicklung ihres Marktplatzes weiter? Bei E-Commerce-Plattformen gibt es immer Individualbedarf. Um Schnittstellen für Kunden schneller programmieren zu können, hatte der Distributionskonzern Anfang 2022 den niederländischen Entwickler Keenondots zugekauft.

Ein weiterer Punkt: Marktplätze, die von Drittanbietern gehostet werden, müssen tief in andere Systeme - ERP und CRM beispielsweise - integriert werden. Nur so erreicht man einen hohen Automatisierungsgrad und Betriebssicherheit. Kunden legen daher Wert auf Investitionssicherheit und Planbarkeit bei der künftigen Entwicklung. Ressourcen-Einschnitte, wie sie jetzt bei Cloudblue vorgenommen werden, sorgen für Verunsicherung. Wie sieht der Kundensupport bei Cloudblue künftig aus, wird etwa stärker zentralisiert und mehr aus den USA heraus betreut?

Auf solche Fragen von CRN antwortet ein "Sprecher Global" bei Ingram Micro allgemein: "Wir werden auch zukünftig in die Entwicklung unserer Teams investieren, um uns an die Marktgegebenheiten anzupassen und unseren Partnern im Channel die beste Betreuung zu bieten". Man habe "weiterhin ein Cloudblue-Vertriebsteam in EMEA" und werde sich "auch in Zukunft auf Service, Support und technische Entwicklung unserer Kunden konzentrieren".

Seite 2: Warum es Cloudblue trifft

Entlassungen bei Ingram Micro treffen vor allem Cloudblue

Insider sprechen gegenüber CRN von „Kahlschlag“ bei der für digitale Plattformen zuständigen BU Cloudblue und zwar vor allem in EMEA. Der DACH-Chef geht, Kunden aus dem Channel sind verunsichert. Was ist los bei Ingram Micro? Die Hintergründe.

Cloudblue wurde vor einigen Jahren mit eigener Marke und Webseite als Hersteller von B2B-Marktplätzen etabliert. Der Kundenfokus liegt auf TK-Provider, größere IT-Dienstleister, aber auch IT-Distributoren. In Deutschland zählt Cloudblue einige Schwergewichte zu seinen Kunden: Bechtle, SVA, Teccle Group und jüngst auch Api.

Stand März 2022 gab Cloudblue folgende Details bekannt: man zähle in seinem Netzwerk über 200 Marktplatzbetreiber, die auf mehr als 300 führende Herstellermarken zugreifen könnten, was über 80.000 Partner täten. Also ein Channel-Hyperscaler, der mehr als 30 Millionen Enterprise-Cloud-Abonnements aufweise. Neuere Zahlen gibt es nicht.

Denn Ingram Micro steht vor einem Börsengang und kann daher keine Details nennen. Vergangenen September kündigte Investor Platinum Equity die Rückkehr des Broadliners an die Börse an.

Die Entlassungen bei Ingram sind weniger überraschend, denn die Technologiebranche vor allem in den USA hatte jüngst deutlich mehr als 100.000 Angestellte entlassen. In der Broadline-Distribution macht sich die Absatzschwäche seit Monaten deutlich bemerkbar. "Einen solchen massiven Sales-Rückgang in den Pipelines großer Infrastruktur-Hersteller, habe ich nicht einmal in der Zeit der Finanzkrise gesehen", sagte gegenüber CRN ein Insider, dessen Firma als Channel-Dienstleister von Herstellern Einblick in die Auftragsbücher hat.

Cloudblue ist zwar Teil des Ingram Micro-Konzerns, hat indes als Softwarehersteller ein völlig anderes Geschäftsmodell als das Kernbusiness Reselling des Broadliners. Als Plattformhersteller benötigt Cloudblue viele Entwickler. Nun hat Ingram Micro parallel zum Marktplatzgeschäft der Cloudblue auch eine neue Strategie bei seinen eigenen Beschaffungsplattformen beschlossen und setzt mit Xvantage auf eine vollumfassende integrierte Lösung mit Einbindung von Herstellern und Resellern. Man hat Xvantage vergangenes Jahr als Game-Changer der Presse präsentiert.

Ressourcenfrage: Zwei Plattform-Teams

Der Kopf hinter dieser "E-Commerce-Revolution" bei Ingram Micro ist Sanjib Sahoo. 2021 ist er als "Executive Vice President and Global Chief Digital Officer" zu Ingram Micro gekommen und bestimmt seither die Richtung des Broadliners, der mit zwei Plattformstrategien auf digitale Channels setzt: Bloudblue als B2B-Marktplatzanbieter und die eigene Plattform Xvantage, die eine digitale Drehscheibe für Beschaffung, Absatz, Auftragssteuerung, Kommunikation, Content und mehr ist. Als Spiritus Rektor von Xvantage, dem "Digital Twin" von Ingram Micro, gilt der Amerikaner mit indischen Wurzeln, Sanjib Sahoo, der vielfach ausgezeichnet wurde und sein Entwickler-Team straff führt. Insidern zufolge seien viele Ressourcen von Cloudblue abgezogen und zur Plattform Xvantage verlagert worden. Letztere wurde in einer Rekordzeit von 18 Monaten entwickelt, wie Sahoo vergangenen Sommer gegenüber CRN stolz berichtete.