Deutschland ist "Entwicklungsland"
Das stellt kein geringerer fest als Bundesminister Lauterbach mit Blick auf das Gesundheitssystem. Es fehlen Know-how, Mut, ein klarer Plan und jetzt auch noch Geld. Der CRN-Kommentar.
Geht es eigentlich noch schlimmer als in der Vorrunde einer Weltmeisterschaft auszuscheiden? Ja sicher. Erst gar nicht dazuzugehören, wenn andere Länder um die Fußball-Krone spielen. So ähnlich ernüchternd ist die Lage bei der Digitalisierung des deutschen Gesundheitssystems. Da stellt Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach am Mittwoch in Berlin ein winziges Puzzle vor, das ohnehin schon mehrfach verschobene E-Rezept, und stellt mit Blick auf das große Ganze fest: "Wir sind im Bereich der Digitalisierung unseres Gesundheitssystems ein Entwicklungsland. Das ist leider so, wir brauchen daher eine Aufholjagd".
Deren Rufe nach Aufholjagden gab es in den letzten Jahren viele, allein sie beschränkten sich auf Ankündigungen. Und das wird so bleiben. Lauterbachs Appell, wieder einmal, kommt just eine Woche nach dem Beschluss der Bundesregierung, die Fördermittel für die Digitalisierung der Verwaltung auf drei Millionen Euro für 2024 zu kürzen, statt geplanter 377 Millionen.
Eines der reichsten Industrieländer der Welt verlässt der Mut zur Modernisierung, am Ende soll Geldknappheit und Sparzwang dafür verantwortlich sein? Nein. Es gibt schlicht keinen Masterplan, kein Zeitplan wird eingehalten, Milliarden wurden für eine unnütze Gesundheitskarte mit lediglich einem Chip für Stammdaten ausgegeben, das E-Rezept mehrmals verschoben (jetzt sollen Ärzte es ab 1.Januar 2024 ausstellen müssen), das ehrgeizige Projekt elektronische Patientenakte (ePA) nun für 2025 avisiert.
Die ePA ist ohnehin eine lange und schwere Geburt und womöglich schon tot, bevor sie, rudimentär entwickelt, wird holprig laufen können. Ursprünglich sollten 2021 Krankenversicherungen ihren gesetzlich Versicherten eine ePA zur Verfügung stellen. Daraus wurde nichts. Es lag nicht am Geld, sondern am fehlenden konsistenten Plan, wie Daten und Dokumente in einer digitalen Patientenakte zusammengeführt werden, wer als behandelnder Akteur darauf Zugriff haben sollte (vollständig, teilweise, mit oder ohne Zustimmung des Patienten) und überhaupt: ob gesetzlich Krankenversichere eine ePA haben müssen oder sie freiwillig nutzen können. Privatversicherte sind davon ohnehin ausgenommen.
Man gewinnt nicht den Eindruck, dass ein „Entwicklungsland" ein so komplexes Projekt wie die ePA, das Herzstück der Digitalisierung des Gesundheitswesens, überhaupt wird stemmen könnten. Ein Aus in der Vorrunde ist leider sehr wahrscheinlich.