"Tschüss Microsoft Office!": Schleswig-Holstein wagt den Umstieg auf den digitalsouveränen Arbeitsplatz
LibreOffice statt Bürosoftware von Microsoft, Open-Xchange ersetzt Microsoft Exchange und überhaut soll die gesamte IT und alle Applikationen in den Ministerien des Landes Schleswig-Holstein auf Open-Source-Software umgestellt werden. Überfälliger Schritt oder Unsinn? Erinnerungen an das Limux-Projekt der Stadt München werden wach.
"Softwaremonopole sind teuer und stehen dem Datenschutz im Weg. Deshalb setzt die Verwaltung in Schleswig-Holstein zukünftig auf Open-Source-Software. Seit kurzem können wir in unseren Gerichten LibreOffice nutzen, Ende des Jahres wird es Pflicht". Kaum 24 Stunden alt ist das Posting des Schleswig-Holsteinischen Oberlandesgerichts auf Linkedin, und es wird fleißig gelesen und kontrovers diskutiert. Projekt "+1.Linux Arbeitsplatz" steht für die Umstellung des Standardarbeitsplatzes des Landes Schleswig-Holstein auf das Open-Source-Betriebssystem Linux ("GNU/Linux"). Nach und nach sollen alle Systeme und Applikationen, die jetzt noch hauptsächlich auf Microsoft basieren, auf Lösungen alternativer Open-Source-Anbieter umgestellt werden.
"Mit dem digital souveränen IT-Arbeitsplatz soll die Abhängigkeit der öffentlichen Verwaltung von einzelnen Softwareanbietenden grundlegend reduziert werden. Dies ist ein wichtiger Schritt zur Erreichung digitaler Souveränität. Neben verbesserter Informationssicherheit und Datenschutz ermöglicht der Einsatz von Open-Source-Software (OSS) auch schnellere Innovation bei IT-Anwendungen", steht auf dem Portal der Landesregierung.
"Dazu gehören ein Open-Source-basierter Verzeichnisdienst sowie die Integration eines webbasierten Kollaborationsservices. Weitere im Rechenzentrum betriebene Infrastrukturkomponenten, wie z. B. LibreOffice oder Telefonsysteme, sind Beispiele für sich bereits im Betrieb befindende Open-Source-Produkte. Ein wesentlicher Faktor bei der Entwicklung des IT-Arbeitsplatzes ist die Nutzbarkeit von Fachverfahren, die aktuell überwiegend Windows-basiert und nicht unter Linux lauffähig sind", heißt er weiter im vorbildlichen Beamtendeutsch. Eingebunden in das Projekt ist der kommunale IT-Dienstleister Dataport, der für die Machbarkeitsstudien verantwortlich ist.
Massive Kostensteigerung für kommerzielle Software in Bundesverwaltungen
Schleswig-Holstein dürfte das Projekt auch vor dem Hintergrund massiv steigender Kosten für kommerzielle Software vorantreiben. Die alte Bundesregierung hatte auf Druck der Partei "Die Linken" Lizenzkosten für Programme und IT-Services vergangenes Jahr veröffentlicht. Demnach seien sie von 2022 auf 2023 um 441 Mio. Euro auf 1,2 Mrd. Euro gestiegen – ein Plus von 57 Prozent. Die Ampelkoalition wollte zwar Entwicklungskosten vermehrt an Open-Source-Anbieter vergeben. In ihrer damals noch vorgelegten Haushaltsplanung für 2025 hatte die alte Koalitionsregierung dann aber fast sämtliche Mittel für Open-Source-Projekte gestrichen. "Statt in zukunftssichere und souveräne IT-Infrastrukturen zu investieren, verbrennt die Bundesregierung das Geld für proprietäre Software, die nicht nur jedes Jahr teurer wird, sondern auch mit Problemen in puncto Datenschutz, IT-Sicherheit und Gestaltungsfähigkeit einhergeht", kritisierte damals die Open Source Business Alliance. Dem Verband der Open Source Industrie in Deutschland gehören rund 200 Mitgliedsunternehmen an.
Schleswig-Holstein macht nun Ernst mit der Einführung von souveräne IT-Infrastrukturen. "Und ihr? Habt ihr schon gewechselt?", eröffnet das Schleswig-Holsteinischen Oberlandesgerichts auf Linkedin die Diskussion. Und die wird hitzig und kontrovers geführt.
Sie reicht von absoluter Zustimmung vor dem Hintergrund saftiger Preissteigerungen meist US-amerikanischer Techanbieter, bis hin zu politischen Statements, dass sich Deutschland und Europa zwingend von einer unberechenbaren US-Regierung auch technologisch unabhängig machen müsse.
Todschlagargument Limux
Einige verweisen auch auf das Limux-Projekt der Stadt München. Die bayerische Landeshauptstadt hatte ähnlich wie jetzt Schleswig-Holstein bereits vor 20 Jahren beschlossen, Arbeitsplatzrechner von Windows auf Linux umzustellen und freie Bürosoftware einzusetzen. 2017 ruderte der Stadtrat wieder zurück und beschloss die Rückkehr zu kommerziellen Standardprodukten. Eine erneute Initiative wenige Jahre später erneut eine Kehrtwende, der Stadtrat sprach sich für "selbst entwickelte Software unter Berücksichtigung aller relevanten und rechtlichen Faktoren als Open Source Lösungen". Es sollten wieder Open-Source-Lösungen zum Einsatz kommen, "wo immer technisch und finanziell sinnvoll". Berichte über Probleme bei der Kompatibilität und Systemausfälle machten die Runde. Die Opposition im München Stadtrat kritisierte die enorme Geldverschwendung, Medien nannten es damals keinen Zufall, dass die Stadt das Limux-Projekt beendete, nachdem Microsoft seinen Deutschland-Sitz wieder nach München verlegt hatte. Was sich im Rückblick als Eiertanz darstellt, war wohl auch einer. Regionalpolitisches Kalkül dürfte bei Limux wohl eine Rolle gespielt haben, ebenso wie technische Probleme und letztlich die betriebswirtschaftliche Gesamtrechnung.
Jedes Mal, wenn sich eine öffentliche Verwaltung für die Umstellung auf freie Software ausspricht, wird das Limux-Projekt der Stadt München als Totschlagargument ins Feld geführt. Doch mittlerweile hat sich geopolitische Lage so zugespitzt, dass digitale Souveränität ein großes Thema für Unternehmen und Behörden in Deutschland und Europa ist. Die Abhängigkeit von US-amerikanischer Technologie ist, neben den Kosten, vor allem zu einem politischen Thema geworden.
"Wenn wir jetzt noch mit öffentlichem Geld offene und kompatible Softwarelösungen selbst entwickeln, haben wir eine Chance auf eine bezahlbare, leistungsfähige und digitale Verwaltung", kommentiert ein Linkedin-Mitglied das Open-Source-Projekt der Schleswig-Holsteinischen Landesregierung. Initiativen in diese Richtung gab und gibt es viele.
EU-Projekt Gaia-X: Mission verloren
Das Projekt Gaia-X beispielsweise. Das von der EU unterstützte europäische Cloudkonsortium, das sich ab 2019 formierte, sollte ursprünglich eine Alternative zu US-Hyperscalern wie Amazon, Microsoft und Google sein. Doch das ehrgeizige Projekt ist bis heute nicht umgesetzt. Enttäuscht zogen sich Open-Source-Anbieter wie kürzlich Nextcloud zurück. Die Politik habe sich mit der Gründung eines Vereins in Belgien aus dem Projekt zurückgezogen, "Gaia-X war fortan nur noch ein Industriekonsortium ohne Mission", sagte Nextcloud-Gründer und Chef Frank Karlitschek kürzlich gegenüber der Wirtschaftswoche.
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