Datenrettungsexperten zum 750 Mio. Dollar Bitcoin-Schatz in der Mülldeponie
Es wäre ein Wunder, würde James Howells seine Festblatte in der Mülldeponie finden und damit den Schlüssel für 7.500 Bitcoin. Klappt es dennoch, müsste ein noch viel größeres Wunder geschehen. Eine tragische Sternstunde der Menschheit im Digitalzeitalter.
James Howells bangt und hofft seit mehr als 10 Jahren, doch noch Multimillionär zu werden. Es klingt wie der schlimmste Albtraum: 2013 warf er aus Versehen eine Festplatte weg, auf der sich 7.500 Bitcoin befinden. Wert: Rund eine Dreiviertel Milliarde US-Dollar. Seither hat es sich der Mann aus Wales zur Lebensaufgabe gemacht, die Festplatte auf der Mülldeponie der Stadt Newport zu finden.
Pech verfolgt den potenziellen Bitcoin-Millionär: Erst verbot ihm die Stadt die Grabung aus Kosten-und Umweltgründen, dann lehnte das oberste Gericht für England und Wales seine Klage ab, weiter graben zu dürfen oder mit 495 Mio. britische Pfund entschädigt zu werden. Nun hat Deponie ihre Kapazitätsgrenze erreicht, die Stadt Newport will sie schließen und auf dem Gelände einen Windkraftpark bauen. Howells jüngster Vorschlag, die Mülldeponie zusammen mit Investmentpartnern zu kaufen, liegt der Gemeindeverwaltung vor. Entscheidung ungewiss.
Welche Chancen hätte der Bitcoin-Schatzjäger, würde er die Nadel im Heuhaufen, respektive seine mehr als 10 Jahre alte Festplatte finden? Datenrettungsexperten von Data Reverse geben eine Expertise ab.
Bei dem verschwundenen Datenträger handelt es sich aller Wahrscheinlichkeit nach um eine 2,5-Zoll-Festplatte (HDD) aus den Jahren 2007–2009. Damals dominierten klassische Laptop-Festplatten mit Perpendicular Magnetic Recording (PMR) den Markt. Diese Technologie ermöglichte hohe Datendichten, benötigte aber sehr präzise Servo-Spuren für die Positionierung der Schreib-Leseköpfe.
Weitere Charakteristika: Typische Kapazität: meist zwischen 160 und 320 Gigabyte. Magnetscheiben ("Player"): Häufig mit Glas- oder Aluminium-Substrat. Glasmagnetscheiben brechen bei starker Kräfteeinwirkung leicht. Schnittstelle: Üblich war SATA, teilweise noch IDE – je nach Hersteller und Modell.
"Wer 2009 an Bitcoin glaubte und sie selbst geschürft hat, nutzte dafür einfach den eigenen Laptop", erläutert Jan Bindig, Geschäftsführer von Data Reverse. "Damals ahnte kaum jemand, dass einzelne Wallet-Dateien eines Tages Millionen oder gar Hunderte Millionen wert sein könnten."
Festplatten-Rettung wie ein "Lottogewinn"
Besagte Festplatte in einer aktiven Müllhalde war uns ist unzähligen schädlichen Einflüssen ausgesetzt. Mechanische Belastungen durch Verdichtung, Feuchtgkeit und chemische Prozesse im Unrat sowie extreme Temperaturschwankungen. Das alles stelle Bindig zufolge massive Risiken für die Hardware dar.
- Beschädigte oder zerstörte Servospuren: Die präzise Positionierung der Schreib-Leseköpfe basiert auf Servospuren, die auf den Magnetscheiben hinterlegt sind. Sind diese Spuren beispielsweise durch Rost, Verformung oder Kratzer unlesbar, kann die Festplatte nicht mehr normal angesprochen werden.
- Transplantation der Magnetscheiben: Bei einer Transplantation werden die Magnetscheiben in ein baugleiches Festplattengehäuse gesetzt. Das funktioniert aber nur, wenn die Scheiben selbst noch weitgehend intakt sind. Risse oder erhebliche Oberflächenbeschädigungen (z. B. durch Korrosion) machen ein Auslesen unmöglich.
- Defekte Elektronik: Die Steuerplatine (PCB) und weitere elektronische Bauteile können durch Feuchtigkeit und Alterung irreparabel geschädigt sein. Umwelteinflüsse wie aggressive Chemikalien und regelmäßige Temperaturwechsel über Jahre hinweg verschärfen das Problem zusätzlich.
- Magnetkraft-Mikroskopie (Magnetic Force Microscopy): Dieses hochspezialisierte Verfahren, bei dem die verbliebenen magnetischen Strukturen auf den Scheiben direkt abgetastet werden, ist nur in Ausnahmefällen einsetzbar. Es gilt als extrem zeit- und kostenintensiv und birgt keinerlei Erfolgsgarantien.
"Angesichts der extremen Lagerbedingungen ist eine erfolgreiche Datenrettung nahezu ausgeschlossen. Selbst wenn Howells die Festplatte findet, gleichen die technischen Hürden einem Lottogewinn", sagt Jan Bindig.
Bitcoin-System kennt keine zentrale Instanz, die verlorene Keys wiederherstellen könnte
Sein technischer Leiter Lars Müller winkt ebenfalls ab. Neben den technischen Hindernissen würde steht Howells vor einer riesigen logistischen Herausforderung stehen. "Die Deponie wurde seit 2013 mehrfach umgeschichtet, verdichtet und könnte in Teilen bereits neu versiegelt sein. Die exakte Position einer kleinen Laptop-Festplatte ist unklar, und die geplanten Windkraftanlagen könnten weitere Teile des Geländes unzugänglich machen".
Auf der vermissten Festplatte befinden sich keine physischen Bitcoins, sondern eine Wallet-Datei mit dem privaten Schlüssel. Dieser Schlüssel ist der einzig legitime Zugangscode zu den 7.500 BTC. Ohne den privaten Schlüssel bleibt das Guthaben dauerhaft gesperrt, da es im Bitcoin-System keine zentrale Instanz gibt, die verlorene Keys wiederherstellen könnte.
Fazit der Datenretter von Data Reverse: Trotz aller finanziellen Mittel und möglicher technischer Innovationen stehen die Chancen für eine erfolgreiche Wiederherstellung der Bitcoin-Festplatte verschwindend gering. Der Fall James Howells zeige erneut, wie wichtig regelmäßige Datensicherungen und eine professionelle Aufbewahrung privater Schlüssel sind – besonders bei Kryptowährungen, die eine enorme Wertsteigerung erfahren können.
Sternstunde der Menschheit im Digitalzeitalter
Die Karten für James Howells stehen also schlecht. Gäbe es eine Fortsetzung von Stefan Zweigs Sternstunden der Menschheit, man müsste Howells tragische Geschichte im Digitalzeitalter gleich neben der von Johann August Sutter stellen. Der in die USA ausgewanderte Schweizer Kaufmann fand 1848 in seiner Mühle Gold und löse damit den kalifornischen Goldrausch aus.
Dass auf seinem Grund und Boden die Massen der Goldsucher nach dem Edelmann schürften, musste er tatenlos zusehen. Die Regierung in Washington hat über Sutters Petitionen auf Schadensersatz nie abschließend entschieden. 1880 verstarb der völlig verarmte Großgrundbesitzer, dem weite Teile Kaliforniens nur auf dem Papier gehörten.
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